Montag, 31. Oktober 2011

Stichwort Networking


Studienfahrt. Klassenfahrt zum Dokumentarfilmfestival kurz Dok Leipzig. Mit nahezu 80% der "Erstis" der HFF Potsdam fuhr ich in meine frühere Studienheimat. Ziel dieser Hochschulmission: die erste Möglichkeit, Chance, Notwendigkeit alle Kommilitonen genau kennenzulernen und die Fundamente der nächsten Monate oder gar Jahre Zusammenarbeit zu mauern. Am besten schon auf der Hinfahrt mit dem schönsten aller Züge dem InterConnex sollten sich die Gruppen für die erste Filmübung finden. Zum Glück dokumentarischer Natur und da ich als Drehbuchstudentin optionales Mitglied dieser Übung wäre, sein könnte, wenn überhaupt wollen würde, konnte ich meine Small-Talk-Künste zunächst vorsichtig ausprobieren und im Laufe der Festivaltage verfeinern.

Dass mir die ersten Worte zur Herkunft, zum Wetter oder auch nur zur allgemeinen Befindlichkeit nicht liegen, stelle ich schon seit Jahren fest. Der erste Kontakt ist meine Grabschaufel.(Privater Exkurs: ich sehe hier auch die Schwäche meiner Berliner WG-Suche. Ein Jahr später und die Probleme wiederholen sich. Mittlerweile gibt es zumindest prinzipiell mehrere Menschen, die mit mir zusammen wohnen wollen würden, nur leben die eben schon in einer WG. Wobei, dies könnte auch Augenwischerei sein. Egal. Die Suche ist schon entwürdigend genug.) Mir dieses Mangels bewusst, versuche ich meine Fähigkeit langsam zu trainieren. Schließlich wird im Hintergrund ständig das mir so verhasste Wort geflüstert: Networking. Networking. Networking. Nichts geht mehr ohne Networking. Der Anfang allen Goldes ist Networking. Ohne Networking bleibt man nicht im Geschäft. Viel schlimmer noch ohne Networking kommt erst gar nicht an die Schwelle zum Geschäft. Ohne Networking werde ich beruflich kaum Alternativen zum zweiten (in meinem Fall sogar vierten) Bildungsweg der Fleischwarenfachverkäuferin haben.

Da bei dem Inhalt des Netzwerkens auch die Form zählt, hielt ich mich auf der Zugfahrt hauptsächlich mit einem Kaffee und zwei anderen Studentinnen in der ersten Klasse auf. Da ich die beiden schon seit den ersten Tagen unseres Studiums kannte, zählte dies wohl nicht als Small-Talk. Trotzdem ist die Aufforderung der Sitznachbarin "Müssen die sich ausgerechnet hier unterhalten" wohl als Erfolg zu werten. Es wurde angeregt geredet mit nahezu fremden Menschen und ich war live dabei.

Die nächsten vier Tage in Leipzig konnte ich allerdings nicht so fokussiert angehen. Nahezu aufopferungsvoll habe ich mein Zimmer im gemeinschaftlichen Hostel der ungarischen Gaststudentin zur Verfügung gestellt und sie damit vor dem Nächtigen unter einer Brücke oder gar noch schlimmer in einem überteuertem Zimmer bewahrt. Abgeschnitten von der Gruppe nächtigte ich in der jugendlichsten WG Leipzigs, wenn gleich wunderbarerweise immer mit Freunden gefüllt, ist sie dabei auch die kraftraubendste WG Leipzigs. Aber zum Networking gehört bekanntermaßen auch alte feste Banden weiter zu knüpfen. Die nächsten Tage standen im Missverhältnis des Zwiespalts: Glühwein und alte Bande oder Film mit anschließendem Empfang und neuen Kontakten. Jede Stunde des Tages diese Entscheidung war wohl der schwierigste Part des Dok Leipzig. Ein Fahrplan pegelte sich ein: Mittags aufstehen (alt), in die Stadt fahren, ins Kino gehen (neu), auf einen Kaffee an der Uni treffen (alt), wieder ins Kino (neu), zu einem Glühwein kommen und zu drei bleiben (alt), der Empfang oder die Party ohne Musik dafür mit Freigetränken (neu), in der Nacht abwechselnd altbekannter Club mit Freunden (alt) oder Aftershow-Party in unbekannten Lokalitäten mit bekannten Gesichtern (neu). Selbst zur Abfahrt konnte ich mich nicht zwischen alt und neu entscheiden. Fahre ich tatsächlich am Samstag mit der Hochschule zurück nach Berlin oder bleib ich einen Tag länger bei der vertrauten Jugend? Das Tempo der Straßenbahn hat letztendlich entschieden und ich bin eine Minute vor Zugabpfiff in den InterConnex gesprungen.



Fazit dieses Networking-Ausflugs:
Wer mich bei meinen Versuchen des Small Talkens einfach stehen lässt, hat keinen Sinn für Komik.
Wenn schon: Bei Bier und Wein muss es sein.
Das Thema Wetter bespreche ich nur mit guten Freunden. Zu wenige Menschen wissen das Phänomen von Wolken und Gewitter zu schätzen sowie die tiefe Bedeutung eines Wettergesprächs.
Ich muss wohl besser werden oder konsequenter Verweigerer, dabei aber Genie sein, damit ich nicht verarme.